Weinbau an der Goldwand
Vermutlich wird bereits seit der Römerzeit am rechten Limmatufer bei Baden Wein angebaut. Das Weingut Müsegg und die Goldwandschenke (jetzige Villa Müsegg) wurde während des Stecklikriegs 1802 ein Zentrum des Widerstands gegen die helvetische Regierung. Bis heute im Originalzustand erhalten ist die 1688 erbaute Trotte. Sie ist ausgestattet mit einem 13 Meter langen Trottbaum, der bis zu 85 Tonnen Druck erzeugen kann.
Ein Meilenstein der Industriegeschichte
Die Brüder Karl Joseph und Friedrich Traugott Oederlin gründen 1858 eine Fabrik zur Eigenproduktion von Metallwaren wie Bügeleisen und Öllampen. Auf dem Gut ‘Müsegg’ von Karl Oederlin wird eine mechanische Werkstatt erstellt, die durch zwei Wasserräder an der Limmat betrieben wird. Die Nutzung der Wasserkraft revolutionierte die Industrie im 19. Jahrhundert und ermöglicht so eine kosteneffiziente Massenproduktion. Das ehemalige Rebhaus wird zum ersten Fabrikgebäude und am Ufer der Limmat entsteht eine moderne Anlage mit transimissionsgetriebenen Maschinen. Familie Oederlin erwirbt den Gasthof Goldwandschenke als Wohnhaus. Die Belegschaft wächst von 40 auf 130 Arbeiter.
Wachstum und Innovation
Unter der Leitung von Hermann Edmund Oederlin erlebt das Unternehmen eine Phase des Wachstums und der Innovation. Die Entwicklung des «Patenthahnens» mit Gummidichtung und auswechselbarem Ventilschlitz durch Jakob Burgherr im Jahr 1886 macht Oederlin-Armaturen weltweit bekannt. In Baden wird die Brown, Boveri & Cie. gegründet und bestellt bei Oederlin grosse Mengen an Gussteilen. Im späten 19. Jahrhundert floriert die Hotellerie, das nahegelegene Grand Hotel in Baden ist ein strahlendes Symbol dafür. Mit der Einführung von Warm- und Kaltwasser in den neuen Hotels steigt die Nachfrage an hochwertigen Armaturen. Oederlin giesst 1893 den Dorer-Drache für das Grand Hotel. Kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 schliesst das Grand Hotel seine Türen und wird 1944 durch die Schweizer Armee gesprengt. Der Dorer-Drache kehrt ins Oederlin Areal zurück und steht heute stolz in der Gartenanlage von der Villa Müsegg. Die Firma Oederlin wird 1918 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt.
Harte Kriegsjahre und grosse Konkurrenz
Hermann Edmund Oederlin stirbt 1920, sein Sohn Edmund Karl Oederlin übernimmt die Leitung des Unternehmens und bringt neue Giessverfahren in die Fabrikation ein. Der zweite Weltkrieg hat einen enormen Einfluss auf das Unternehmen. Aktivdienst, Orts- und Werkwehr binden wertvolle Arbeitskräfte und der Mangel an Rohstoffen erzwingt die Einstellung wichtiger Produktionen. Die Konkurrenz wird härter und Oederlin behauptet sich mit einem ausgeklügelten Verkaufssystem beim Kunden. Die Produkte werden in Katalogen und Werbebroschüren dargestellt. Werbefilme werden erstellt und Ausstellungen besucht. Zahlreiche soziale Einrichtungen wie die Angestellten-Pensionskasse und die paritätische Arbeiterpensionskasse werden gegründet. Das Gasthaus Goldwand wird erworben und dient der Belegschaft als Wohlfahrtshaus. Ab 1955 treten die Gebrüder Alex und Thomas Pfau, Söhne von Alice Pfau-Oederlin schrittweise in die Firma ein und übernehmen deren Leitung.
100 Jahre Oederlin
Oederlin feiert sein 100jähriges Bestehen mit einem grossen Fest, einem Buch und einem attraktiven Film. Die Belegschaft ist mittlerweile auf fast 1000 Personen angewachsen und zu einem stattlichen Unternehmen geworden. Oederlin stellt mittlerweile nicht nur Armaturen sondern auch Komponenten für die Luftfahrt, Eisenbahn, Stromerzeugung, Heizung und Sanitär her.
Erweiterung der Fabrik und neue kulturelle Ansätze
Das Areal hat sich seit 1906 kaum verändert und die Oederlin steht vor grossen Herausforderungen. Das Hauptproblem der sechziger Jahre ist die Personalknappheit. Ausländische Mitarbeiter werden angeworben und Fachkräfte in den firmeneigenen Lehrwerkstätten ausgebildet. Die ausländischen Mitarbeiter und deren Familien bringen neue kulturelle Ansätze in die Firma und die ganze Region. Die Fabrik wird erweitert und eine Verdichtung der bestehenden Bausubstanz ist notwendig. Die Landreserve nördlich der Kantonsstrasse wird überbaut und grosse Investitionen in den Maschinenpark ermöglichen eine weiterhin starke Marktposition.
Rentabilitätseinbruch im Armaturengeschäft
Seit Ende der sechziger Jahre zeichnet sich ein Rentabilitätseinbruch im Armaturengeschäft ab. Um diesen zu bewältigen werden Auslagerungen, Joint Ventures und Verkäufe einzelner Produktionsbereiche eingeleitet. Dieser schwierige Prozess dauert mehrere Jahre und führt zur Gründung der Oederlin Giesserei AG und der Oederlin AG als Immobiliengesellschaft. 1973 plant die Firmenleitung die Verlegung der Produktion auf ein Industrieterrain in Untersiggenthal. Das Areal an der Limmat soll in eine Wohn- und Gewerbezone umwandelt werden. Der bewilligte Gestaltungsplan ‘Wohnüberbauung Goldwand’ sieht eine komplette Neuüberbauung des Südareals vor. Edmund Karl Oederlin tritt 1973 nach 53 Dienstjahren als Verwaltungsratspräsident zurück und bestimmt Alex Pfau zum Nachfolger. 1986 übergibt Alex Pfau die Geschäftsleitung an Guido Schmid, welcher seit 1966 Finanzchef der Firma ist. Das Verwaltungsratspräsidium übergibt Alex Pfau 1989 seinem Bruder Thomas Pfau.
Neuer Gestaltungsplan fürs Oederlin Areal
Die Firma Oederlin veräussert verschiedene Produktionszweige schrittweise. Ein neuer Gestaltungsplan vom Areal wird veröffentlicht. Ziel ist die Substanz der Giesserei zu erhalten und gleichzeitig die Räume zu vermieten. Die ersten Mieter ziehen im Oederlin Areal ein. Guido Schmid geht 1998 in Pension und übergibt die Geschäftsführung seinem Sohn, Dr. Thomas Schmid.
Die Oederlin Giesserei AG schliesst ihre Türen
Die schweizerische Maschinenindustrie ist Hauptkunde der Firma Oederlin und bestellt vor allem Gussteile für die Herstellung von Produkten, wie zum Beispiel Obstpressen und Pumpgehäusen. Im Jahr 2014 wird massiv weniger Guss bestellt und die Zukunftsaussichten der Branche sind schlecht. Oederlin muss seinen letzten 13 Mitarbeitern schweren Herzens die Stelle kündigen.
Ein pulsierender Arbeits- und Kulturort
Das Oederlin Areal ist ein beliebter Arbeits- und Kulturort, welches das Industrie-Flair der ehemaligen Giesserei behalten hat. Die Oederlin AG ist mittlerweile eine reine Immobiliengesellschaft mit dem Ziel, zeitgemässe Perspektiven und Nutzungskonzepte für die Zukunft zu entwickeln. Diese Mitarbeiter sind übrigens schon seit vielen Jahren für Oederlin im Einsatz: Brigitte Halter seit 1989, Heinz Grenacher seit 2003 und Marcel Härri seit 2005.